M/S WILHELMSHAVEN

Chronik einer Abschiedsfahrt

3. Oktober 2004
 


8:30 Uhr

M/S Wilhelmshaven liegt über die Toppen geflaggt im Vorhafen ihrer Heimatstadt. Während sich bereits viele Passagiere an Bord befinden, strömen zahlreiche Fahrgäste zum Schiff. Vor dem Fahrkartencontainer bildet sich eine lange Schlange. Viele Passagiere halten M/S Wilhelmshaven vor ihrer letzten Abfahrt auf ihrem Fotoapparat für die Nachwelt fest. Bereits 41 Dienstjahre hat das Schiff auf dem Rumpf. Und dennoch - oder vielleicht gerade deshalb - versetzt der Anblick des Nostalgiekahns eingefleischte Helgolandfahrer in Verzückung. Auch wenn die 41 Jahre an dem Schiff nicht spurlos vorübergegangen sind, so ist es immer noch eine elegante Erscheinung - eine der elegantesten, die die Helgoland-Flotte hervorgebracht hat.

 

 

 

 

 

 

 

 


 
 
 
 
 
 

 9:00 Uhr

Die planmäßige Abfahrt des Schiffes verzögert sich, da immer noch nicht alle Passagiere das Schiff bestiegen haben.

9:15 Uhr

Mit 15 Minuten Verspätung verläßt M/S Wilhelmshaven den Liegeplatz und macht sich auf ihre letzte Reise zum Roten Felsen. Noch scheint die Sonne vom blauen Himmel.

 

9:30 Uhr

M/S Wilhelmshaven passiert auf ihrem Weg durch die Jade zahlreiche Tanker, die an den weit hinaus ragenden Liegeplätzen gelöscht werden.

Neben einigen organisatorischen Informationen wird über Lautsprecher auch auf das gastronomische Angebot auf dem Schiff hingewiesen. Weiterhin wird erwähnt, daß am Bordkiosk ein Schiffspoststempel erhältlich ist. Von der Brücke ist außerdem zu erfahren, daß das Wetter auf Helgoland genau so schön ist wie in Wilhelmshaven und daß eine recht angenehme Reise zu erwarten sei. Von dem noch etwas zunehmenden Seegang sei aufgrund der vorhandenen Stabilisatoren kaum etwas zu merken. Diese Aussage werden einige Fahrgäste später als etwas zu optimistisch in Erinnerung behalten. Trotz der verspäteten Abfahrt werde die Ankunft in Helgoland annähernd pünktlich erfolgen, da die Fahrt zur Insel mit der ablaufenden Jade-Strömung erfolge.

10:15 Uhr

M/S Wilhelmshaven verläßt die Mittelrinne und passiert auf der Backbordseite Minsener Oog und in etwas weiterer Entfernung, aber deutlich sichtbar,  die Insel Wangerooge. Der Seegang nimmt nun - entgegen früherer Ankündigungen - spürbar zu. Auch mit dem Sonnenschein ist es jetzt vorbei, aus dunklen Wolken fallen die ersten Regentropfen.

 

10:45 Uhr

Ein Matrose teilt Spucktüten aus - von so manchem Fahrgast offenbar sehnlichst erwartet...

11:30 Uhr

Am Horizont tauchen die Umrisse Helgolands aus dem Dunst auf.

12:00 Uhr

M/S Wilhelmshaven hat Helgoland fast erreicht. Kurz vor der Insel nehmen die Schiffsbewegungen bei Windstärke 5 - 6 aus Südwest noch einmal zu. Windstärke 5 - 6 klingt nicht so dramatisch, erfahrene Helgolandreisende wissen jedoch, daß es in der Einfahrt zur Helgoländer Reede bei diesen Windstärken häufig schon zu beachtlichen Schiffsbewegungen kommen kann. Dies gilt für die Wilhelmshaven in besonderem Maße, denn durch hervorragende Stabilität zeichnet sich die Wilhelmshaven bei zunehmenden Windstärken nicht aus. In diesem Punkt schneiden andere Helgolandschiffe deutlich besser ab.

12:10 Uhr

M/S Wilhelmshaven hat die Helgoländer Reede erreicht. Die Börteboote machen sich auf den Weg zum Schiff.

 

 

 

12:13 Uhr

Zum letzten Mal rasselt lautstark der Steuerbord-Anker der Wilhelmshaven ins Wasser. Das Ausbooten beginnt. Da fast zeitgleich auch M/S Helgoland aus Bremerhaven einläuft, zieht sich das Ausbooten in die Länge. Ausgerechnet während des Ausbootens zieht ein schwerer Regenschauer über die Insel.

 

12:45 Uhr

Das Ausbooten ist beendet.

Während des 3 1/2 stündigen Insel-Aufenthaltes nutzen viele Fahrgäste trotz des mäßigen Wetters noch einmal die Möglichkeit, die Wilhelmshaven auf der Helgoländer Reede abzulichten. Dies ist natürlich besonders gut vom Falm möglich, aber auch von der Mole des Südhafens. Von der Landungsbrücke läßt sich das Schiff leider nicht fotografieren, da M/S Funny Girl ausgerechnet direkt vor der Wilhelmshaven auf Reede liegt und somit den Blick auf das Schiff komplett verdeckt.

13:30 Uhr

Auf der Wilhelmshaven findet die offizielle Verabschiedung des Schiffes statt. Aus diesem Anlaß setzen Offizielle und Vertreter der Insel zur Wilhelmshaven über.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

15:00 Uhr

Das Einbooten beginnt. An diesem Tag wird die Wilhelmshaven wie gewöhnlich über Treppe 4 (dies ist die Auslegerbrücke, innen) eingebootet. Wie immer lotsen die Einträge auf der Abfahrtstafel und die Schilder mit den Schiffsnamen an den Treppen den Passagieren den richtigen Weg zu den Börtebooten. Nichts deutet darauf hin, daß der Schiffsname "Wilhelmshaven" heute zum letzten Mal angezeigt wird.

15:45 Uhr

Während M/S Lady von Büsum als erstes Schiff dieses Tages die Helgoländer Reede verläßt, warten auf Treppe 4 noch zahlreiche Passagiere, zur Wilhelmshaven eingebootet zu werden. Von den 1086 Tagesgästen sind bei fünf Schiffen allein ca. 600 Personen mit der Wilhelmshaven angereist. An ihrem letzten Einsatztag schwimmt die Wilhelmshaven auf einer Welle der Sympathie.

 

 

 

 

16:00 Uhr

Zu dieser Uhrzeit soll planmäßig das letzte Boot zur Wilhelmshaven von der Insel ablegen. Wegen des großen Andrangs wird aber immer noch über Treppe 4 eingebootet. An Treppe 3 (Auslegerbrücke, außen) liegt aber bereits das Börteboot "Atlantis" bereit, das als letztes Boot zur Wilhelmshaven fahren wird. Somit wird das allerletzte Boot nicht von Treppe 4, sondern von Treppe 3 ablegen.

 

16:03 Uhr

Das Börteboot "Atlantis" legt als letztes Boot zur Wilhelmshaven von Land ab.

16:05 Uhr

Das Börteboot "Atlantis" erreicht die Wilhelmshaven. Die Fahrgäste des letztes Bootes werden über die vordere Steuerbordpforte eingebootet. An der hinteren Steuerbordpforte legt gerade das vorletzte Boot wieder ab.

16:08 Uhr

Die letzten Passagiere sind eingestiegen. Die Pforten sind seeklar. Die anderen Seebäderschiffe verabschieden M/S Wilhelmshaven nacheinander mit einem dreifachen langen Hupsignal. Zum Abschluß antwortet die Wilhelmshaven ebenfalls mit diesem Signal, das im Vergleich zu den anderen Schiffen bezeichnenderweise einen etwas altersschwachen Eindruck hinterläßt.

16:10 Uhr

Von der Brücke kommt der Hinweis an die Besatzung, daß es sich zwar um die letzte Fahrt der Wilhelmshaven handele, aber noch sei man im Dienst. Daher müsse sich jemand um den Anker kümmern, der noch immer nicht eingeholt ist.

16:13 Uhr

Der Anker ist eingeholt. Die Passagiere werden informiert, daß das Schiff jetzt von der Helgoländer Börte verabschiedet werde, und zwar nicht nur für dieses Jahr, sondern für immer. Viele Passagiere kommen der Aufforderung nach, zum Abschied mit einem weißen Taschentuch zu winken und dem Schiff nach Möglichkeit auch noch eine Träne nachzuweinen.

16:15 Uhr

Begleitet von mehreren Helgoländer Börtebooten und auch der Dünenfähre "Witte Kliff" läuft M/S Wilhelmshaven langsam von der Helgoländer Reede aus.

 

 

 

 

 

 

 

 

16:17 Uhr

M/S Wilhelmshaven verläßt den windgeschützten Bereich der Insel. Die Börteboote drehen ab. Auf dem Vorschiff wird es jetzt ungemütlich, dort geht nämlich die See über. Bei 6 - 7 Windstärken hat der Seegang gegenüber der Hinfahrt noch einmal zugenommen. Somit wird die Abschiedstour im wahrsten Sinne zu einer bewegenden Fahrt.

 

 

 

 

 

 

 

17:15 Uhr

Auch nach einer Stunde Fahrt lassen sich noch die Umrisse Helgolands am Horizont erahnen. Wenige Minuten später ist der Rote Felsen im Dunst verschwunden.

18:15 Uhr

M/S Wilhelmshaven passiert die Insel Wangerooge und läuft in das Jade-Fahrwasser ein. Die See wird nun wieder deutlich ruhiger.

19:00 Uhr

Das Schiff sollte laut Fahrplan jetzt Wilhelmshaven wieder erreicht haben, von der Stadt ist jedoch weit und breit nichts zu sehen. Bei Einbruch der Dunkelheit passiert das Schiff gerade erst Hooksiel. Aufgrund der Verabschiedung vor Helgoland und der Fahrt gegen die ablaufende Jade-Strömung wird sich die Ankunft in Wilhelmshaven deutlich verspäten. Wenn es sich schon um die letzte Fahrt handelt, so hat man wenigstens die Gelegenheit, diese noch mal richtig auszukosten.

19:15 Uhr

Das Schiff passiert nun wieder zahlreiche Tankerliegeplätze vor Wilhelmshaven und biegt anschließend westwärts in den Jadebusen ein.

19:30 Uhr

M/S Wilhelmshaven erreicht ihren Heimathafen. Auf den Hafenanlagen des Vorhafens haben sich zahlreiche Schaulustige versammelt. Unter einem Blitzlichtgewitter fährt das Schiff in den Hafen ein und nähert sich langsam dem Liegeplatz.

19:40 Uhr

M/S Wilhelmshaven hat im Vorhafen festgemacht, die Fahrgäste verlassen das Schiff. Im illuminierten Zustand hinterläßt das Schiff von der anderen Hafenseite noch einmal ein starken Eindruck. Nach 41 Jahren ist eine Ära im Helgolandverkehr zu Ende gegangen.

 

  


© 2004    Alexander David

    Letzte Aktualisierung: 02.11.2004